Das digitale Zeitalter - eine Zeit des technischen Aufschwungs und der globalen Vernetzung. Seit den 90iger Jahren befindet sich die Welt in einem rasanten Wandel. Eine Innovation jagt die nächste. Produkte überschwemmen den Markt und müssen ständig modern, innovativ und ihrer Zeit voraus sein, um überhaupt an einem hart umkämpften Markt überleben zu können.
Stillstand manövriert einst großartige Produkte zu einem sicheren Aus. Diese Umstände führen dazu, dass Produkte laufend überarbeitet und an den Markt angepasst werden müssen. Die große Herausforderung ist es unterdessen, - unter Berücksichtigung verschiedenster Blickwinkel - fundiertes Marktverständnis zu erlangen und daraus die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Eine solche Entscheidung kann dabei auch bedeuten, dass ein Produkt von Grund auf neu gedacht und gebaut werden muss (Relaunch), um gleichzeitig für die User einen höheren Nutzen zu stiften und für das Produkt einen besseren Market Fit zu erlangen. Gründe hierfür sind zumeist eine starke Alterung des Produkts (Technik, UX, Features, …) oder dass das Produkt in der aktuellen Ausführung nicht den ursprünglich erwarteten Erfolg bringt.
Ziele und MVPs
Basierend auf dieser Ausgangssituation ergeben sich folgende fundamentale Fragestellungen:
- Wie kann den Usern das Leben noch einfacher gemacht werden?
- Wie kann sich das Produkt noch besser in den Markt einfügen?
- Welchen Umfang sollte das Produkt zum Relaunch haben?
- Welches Ziel soll mit dem Relaunch verfolgt werden?
Viele Unternehmen setzen sich für den Relaunch eines bestehenden Produktes ehrgeizige Ziele für ein innovativ überarbeitetes Produkt, welches bereits zum Launch mit einer hohen Anzahl an neuen Features punkten soll. Zum Zeitpunkt des Kick-Offs ist jedoch zumeist nicht ganz klar, welche Features das Produkt schlussendlich zum Launch umfassen soll. Dies führt dazu, dass auf dem Weg dahin ständig neue Features in den Produkt-Scope einfließen, was letztendlich zu exzessivem Feature Creep ausartet. Features gegeneinander zu priorisieren wird zur Unmöglichkeit, da plötzlich alle Features als wichtig erscheinen und grundlegende Themen liegen bleiben.
Dieses Vorgehen verursacht nicht nur signifikant hohe Kosten, sondern gefährdet den Relaunch und somit auch das Fortbestehen des Produkts.
Viel fahrlässiger ist allerdings, dass man keine Gewissheit darüber hat, wie diese Features am Ende vom User angenommen werden.
Zudem erschweren divergierende Anforderungen der User und sich verändernde Markttrends die Ausarbeitung eines Produkts ungemein, weshalb viele Unternehmen speziell für neue Produkte auf das sog. Minimum Viable Product (kurz: MVP) zurückgreifen.
Ein MVP (wörtlich: “minimal brauchbares oder existenzfähiges Produkt”) bedeutet die Umsetzung der möglichst einfachsten Produktvariante, welche nur den notwendigsten Kernnutzen stiftet und einen frühzeitigen Markteintritt ermöglicht. Dies bietet den Unternehmen die Gelegenheit, bereits zu einem frühen Zeitpunkt User-Feedback einzuholen sowie Erfahrungswerte zu sammeln, um das Produkt dahingehend zu verbessern. Das Ziel dieser Strategie ist die Vermeidung von Produkten, die die User gar nicht wollen.
Ungeachtet dessen, ob ein Relaunch eine stärkere Kundenbindung, höhere Reichweite oder lediglich eine Grunderneuerung des Produkts erreichen soll, muss im Vorfeld klar definiert sein, wo die Reise hingeht. Kann ein MVP für den Relaunch eines Produkts denn überhaupt Abhilfe schaffen? Die simple Antwort dazu: auf jeden Fall!
Das MVP als Fokus-Instrument
Ein MVP verfolgt grundlegend den Ansatz “weniger ist häufig mehr”. Diese Philosophie auf die Planung eines Produkt-Relaunches übertragen bietet einen idealen Weg, den Fokus auf die Kernfeatures des Produkts zu wahren.
Es ist anfangs abzuwägen, welchen Umfang das MVP schlussendlich zum Launch haben sollte. Auch abhängig von Produktgröße und -komplexität muss die Entscheidung getroffen werden, ob der Relaunch das gesamte Produkt oder nur einen in sich abgeschlossen Produktteil ersetzen soll. Schließlich soll das MVP einen möglichst frühen Launch ermöglichen und keine jahrelange Entwicklungshölle entstehen lassen.
Dabei hilft es, zunächst eine Produktanalyse durchzuführen und den Ist-Stand des aktuellen Produkts abzubilden. Für den Ist-Stand relevant sind vor allem die vorhandenen Features, geplante Iterationen, die Arbeitsweise der User und die aktuelle User Experience.
Ähnlich, wie z.B. bei einem “Walking Skeleton”, sollte jedes Feature (ob bereits im aktuellen Produkt bestehend oder für die Zukunft geplant) nochmals einzeln betrachtet und in Frage gestellt werden. Braucht der User dieses Feature überhaupt und welchen Mehrwert bietet dieses (Feature-Value-Analyse)? In welchem Umfang sollte diese Feature für den Relaunch umgesetzt werden? Sollte das Feature nochmals überarbeitet werden? Wie passt das Feature in den Workflow des Users?
Im Gegensatz zu einem neu entstehenden Produkt, besteht mit einem schon existierenden Produkt der signifikante Vorteil, bereits entscheidende Erfahrungswerte (in Form von User-Feedback, Tracking-Auswertungen und Performance-Analysen) gesammelt zu haben. Auf Basis dieser Erfahrungswerte kann sehr gut entschieden werden, welche Features gestrichen, beibehalten, überarbeitet oder für eine spätere Iteration vorgesehen werden können.
Der logische Schluss daraus wäre natürlich, für das MVP dieselben Features zu verwenden, wie im ursprünglichen Produkt(teil), und dann auf die Resonanz zu achten. Das klingt zunächst schlüssig, kann aber nur in folgenden Fällen tatsächlich funktionieren:
- Es soll ein anderer Markt mit denselben Features getestet werden
- Es soll eine radikal andere, benutzerzentrierte UI/UX mit denselben Features getestet werden
- Es soll ein neuer technischer Unterbau eingeführt werden, um eine höhere Performance zu erreichen oder eine bessere Datenintegrität zu erlangen
- Es soll ein neues Business Model eingeführt werden, bei welchem noch nicht absehbar ist, wie dieses mit dem bestehenden Produkt harmoniert
Andernfalls werden nur bereits getestete Hypothesen und Annahmen ERNEUT getestet und bieten daher keinen Mehrwert.
Stück für Stück werden so Features oder Teilfeatures aussortiert, welche nicht unbedingt zum Relaunch vorhanden sein müssen. Jene Features, welche erhalten bleiben, müssen so (neu)konzipiert sein, dass sie sicherstellen können, das bestehende (Teil-)Produkt vollständig abzulösen, dabei existenzfähig zu bleiben und dem User einen tatsächlichen Mehrwert zu bieten.
Im Sinne der Grundsätze eines MVPs kann somit, unter Rücksichtnahme der Relaunch-Ziele, ein festes Feature-Paket geschnürt werden, welches das bestehende Produkt oder den vorgesehenen Produktteil umfänglich ablösen kann und darüber hinaus ein äußerst transparentes Big Picture für die zuständigen Teams und die Stakeholder abzeichnet.
Das MVP besteht dabei nur aus den allernotwendigsten Features, womit ein möglichst frühzeitiger Relaunch ermöglicht wird und umgehend neues User-Feedback eingeholt werden kann, welches dahingehend zur raschen Verbesserung des neuen Produkts beitragen kann. Die jeweiligen Beteiligten können stets das Große und Ganze im Auge behalten, neue Feature-Wünsche besser in spätere Iterationen einplanen und somit das MVP als Fokus-Instrument nutzen, um ungestört einen baldigen Relaunch durchzuführen.
Auch wenn innerhalb eines agilen Frameworks gearbeitet wird, erfordert die Umsetzung eines MVPs ein hohes Maß an vorläufiger Planung. Planung ist die halbe Miete! Nur mit guter Planung können umfangreiche Vorbereitungen getroffen, eine gewisse Qualität aufgewiesen und eine vorhandene Deadline tatsächlich eingehalten werden.